Unbequem

von Catherina Kaiser
Illustration: Ronja Keifer

Samstagabend. Ich treffe M. in einer Bar in unserem Viertel. Obwohl wir zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder in der gleichen Stadt leben, haben wir uns mal wieder seit Monaten nicht gesehen. Und das hat einen Grund. M. ist zwar eine meiner ältesten Freundinnen, trotzdem sind wir uns einig, dass wir, würden wir uns heute, mit Ende 20, kennenlernen, wohl nicht befreundet wären. M. sagt, ich wäre ihr wahrscheinlich »ein bisschen zu alternativ«, und lacht verschmitzt. Ich weiß genau, was sie meint. 

Als Zwölfjährige waren wir unzertrennlich. Wir waren gleichzeitig in dieselbe verschlafene Kleinstadt gezogen, beide mit alleinerziehenden Müttern, beide etwas zu altklug für unser Alter und beide mit einem Ehrgeiz, der uns wenig Freunde einbrachte. Doch eigentlich brauchten wir auch niemand anderen. Für ein paar goldene Jahre gab es nur M. und mich und die großartige Zukunft, die wir uns füreinander ausmalten. Bis heute glaube ich, dass mich nur wenige Menschen so verstehen wie sie. Dabei ist 15 Jahre später unsere Vergangenheit beinahe das Einzige, das wir teilen. Und das liegt nicht nur daran, dass sie Karriere macht, während ich seit einem Jahr wieder in einer Kneipe jobbe. Oder daran, dass sie später an diesem Abend noch zu Charts tanzen wird und ich zu Indie. An ihren Perlenohrringen oder meiner Lederjacke. Sondern daran, dass M. nach einem Glas Wein Dinge sagt wie:

M: Wenn ich bis dreißig keinen Mann gefunden habe, dann adoptiere ich ein Schokobaby aus Afrika. Wie Madonna.

 

Oh no.

 

Ich: Dir ist schon klar, dass das krass rassistisch ist?

 

M. rollt mit den Augen.

 

M: Ach komm. Du weißt doch, dass ich das nicht böse meine.

 

Ich kenne M. in- und auswendig. Deshalb weiß ich: Aus Boshaftigkeit sagt sie das nicht. Aber ihre Aussage zeugt von einer Ignoranz, die man nur in sich tragen kann, wenn man – wie sie und ich – weiß ist und keinerlei Erfahrung mit Rassismus hat. Wenn man aus einer schwäbischen Kleinstadt stammt und deshalb generell wenig Berührungspunkte mit Menschen hatte, deren Eltern, Großeltern und Urgroßeltern von weiter her als dem Kaff nebenan stammen. Aber wir sind keine Teenies auf dem Land mehr. Zwischen uns und ihnen liegen fast zehn Jahre, Studium, Reisen, Lebenserfahrung. Ich verstehe nicht, warum M.s Weltbild sich in dieser Hinsicht scheinbar nicht weiterentwickelt hat. Warum jemand, der mir so nahesteht, so achtlose Dinge sagen kann. In meinem Bauch lodert eine kleine Flamme. Ich werde laut.

Ich: Es ist völlig egal, wie du das meinst. Warum musst du denn bitte Schokobaby sagen?

 

M: Das ist doch eigentlich eine ganz süße Beschreibung.

 

Ich: Daran ist rein gar nichts süß, das ist herabwürdigend. Dahinter stecken jahrhundertealte Machtkonstrukte, die reale Auswirkungen auf reale Leben haben. Bis heute.

 

Stille.

 

M: Bei dir muss man wirklich immer aufpassen, was man sagt. Können wir nicht einmal einen lockeren Abend haben?

 

Ich: Natürlich können wir einen lockeren Abend haben. Aber wenn du etwas Rassistisches sagst, kann ich nicht die Klappe halten, sorry.

 

Leid tut es mir aber eigentlich nicht. Meine Wangen glühen. M. geht in Abwehrhaltung und verschränkt die Arme.

 

M: Ich lasse mich nicht von dir als Rassistin abstempeln. Leg doch nicht immer jedes Wort auf die Goldwaage. Du kennst mich doch.

 

Ich: Ich sage nicht, dass du per se Rassistin bist. Ich sage, dass deine Aussage rassistisch war. Und das musst du aushalten können. Und vielleicht einfach mal als Denkanstoß nehmen.

 

M. nimmt einen großen Schluck Wein und schaut mich direkt an. Zusammengepresste Kiefer, kühler Blick. Ich kenne diesen Gesichtsausdruck gut. Zu Schulzeiten hat sie so unseren Mathelehrer angeschaut, wenn er ihr nicht die Note gab, die sie meinte zu verdienen. M. fühlt sich ungerecht behandelt.

M: Gut, dann sage ich dir jetzt mal was. Es ist echt schwer, dich irgendwohin mitzunehmen, weil man immer Angst haben muss, dass du gleich so eine Diskussion vom Zaun brichst. Du bist so unbequem geworden. Das neulich auf der Party von Niko war wieder ein perfektes Beispiel.

 

Ich: Der Typ hat behauptet, der Gender Pay Gap wäre eine Erfindung!

 

M: Ja, und? Ich sage ja auch gar nicht, dass du Unrecht hast. Aber Niko ist mein Vorgesetzter. Hättest du da nicht ein Mal eine Ausnahme machen können? Ist das echt so schwer für dich, Cathi?

 

Ist es. Die Klappe zu halten, fiel mir schon immer schwer. Konfrontiert mit Ungerechtigkeiten fängt in meinem Bauch dieses Feuer an zu brennen, das ich nicht unterdrücken kann. Aber ehrlich gesagt fühle ich mich damit auch im Recht. Und wenn ich nichts sage, wer denn dann? Natürlich würde ich jetzt auch lieber mit M. über die neue Staffel »The Bachelor« lachen, als mich mit ihr in unserer Lieblingsbar über Rassismus zu streiten. An Ostern friedlich meinen Spargel essen, statt Oma darüber zu belehren, dass Geflüchtete nicht öfter straffällig werden als Deutsche. In der Bar mit Julias Freund Wortwitze reißen, statt darüber zu diskutieren, warum es halt nie okay ist »schwul« als Schimpfwort zu verwenden (auch wenn man diesen einen schwulen Freund hat, dem das angeblich nichts ausmacht). Oder mit M.s Chef Niko über Gin fachsimpeln, statt – wieder einmal – erklären zu müssen, wie der Gender Pay Gap funktioniert und warum er ein Problem darstellt. Ist ja auch ermüdend. Manchmal sogar ein echter Stimmungskiller. Aber ist das wirklich meine Schuld oder lässt man mir nicht eigentlich mit solchen Aussagen gar keine andere Wahl? Ich kann M. in diesem Punkt nicht entgegenkommen.

 

M: Weißt du, Cathi, das liegt auch einfach an der Art, wie du das sagst. Du wirkst dann manchmal schon ziemlich arrogant und belehrend.

 

Ich: Naja. Ich habe halt wenig Verständnis dafür, wenn man sich als erwachsener Mensch nicht kritisch mit solchen Themen auseinandersetzt. Du hast alle Möglichkeiten der Welt, dich zu informieren und dazuzulernen. Und wenn auch nur dadurch, dass du mir zuhörst, wenn ich dich als gute Freundin darauf hinweise, dass du mit deinen Aussagen rassistische Denkweisen mitträgst – ob du das jetzt so meinst oder nicht.

 

M: Okay. Wenn du willst, dass ich mich damit auseinandersetze, erreichst du mich so aber sicher nicht. Das kann ich dir sagen!

Ich schlucke. M. trifft einen wunden Punkt. Die Reaktionen, die ich meist bekomme, wenn ich Menschen auf problematische Aussagen hinweise, fallen grob in drei Kategorien: Rechtfertigung, Relativierung, Hochmut. Meine Oma: »Das hab ich ja nicht so gemeint.« Julias Freund: »Da gibt es doch echt Wichtigeres! Was ist bitte mit dem Klimawandel?.« M.s Chef Niko: »Typisch wütende Feministin.« Wütend bin ich in solchen Momenten oft, das stimmt. Nicht überschäumend oder Gläser werfend. Aber eben mit einer kleinen Flamme im Bauch und scharfen Worten auf der Zunge. Bislang habe ich das nicht nur als etwas Negatives empfunden: Meine Wut gibt mir schließlich auch die Energie, zum x-ten Mal die gleichen Gespräche zu führen, auf die ich ja eigentlich auch keinen Bock habe. Sie gibt mir einen kleinen Instant-Rausch, der hilft, trotzdem weiterzumachen. Dann werde ich lauter – aber macht mich das wirklich arrogant oder bin ich nicht einfach nur bestimmt? Und sollte es nicht eigentlich um etwas ganz anderes gehen, nämlich um die Sache selbst? Um Alltagsrassismus, Sexismus, um Diskriminierung. Diese Fragen stelle ich M. nicht mehr.

Die Fronten sind verhärtet. M. wird sich in dieser Bar nicht mehr verändern. Und ich auch nicht. Kapitulation also. Vorerst. Ich bestelle uns noch zwei Gläser Wein, an denen wir nippen, bis meine Wangen weniger rot und M.s Kiefer weniger angespannt sind. Ich atme tief durch.

 

Ich: Und, wie geht’s deiner Mutter?

Dieser Text wurde 2019 in “Almost 30 – The Value Issue” veröffentlicht.
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